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„Treffen Sie einen Flüchtling!“ Hat uns die Bundeskanzlerin empfohlen um Rassismus und Vorurteile abzubauen. Ich bin nicht rassistisch und treffe jeden Tag Flüchtlinge. Genauer, ich wohne Tür an Tür mit Flüchtlingen. Dazu eine alltägliche Begegnung:

Jedenfalls hatte ich mich vorsätzlich abseits der Menschen Grüppchen am Bahnsteig gesetzt. Dort absichtlich die Zeitung gelesen. Damit niemand der Reisenden auf die Idee käme, mich anzusprechen. Vergebens:

„Schuldigung,  Zug  21, fährt Harburg?“

Fragte mich der junge Mann welcher sich zu mir setzte. Von mir kam nur ein zustimmendes Knurren und ich schenkte dem Fragenden keinen Blick.

„Haben Sie Zigarette?“

Der junge Mann suchte meine Bekanntschaft. Und ich packte meine Zeitung zusammen, nahm mir die Zeit den Bittenden ausführlich zu mustern und verneinte seine Frage mürrisch.

„Warum nicht? Rauchen nicht?“

Fragte der Anhängliche und schaute mich mit seinen Kulleraugen an.

„Rauchen nicht?“

Statt seine Fragen zu beantworten, entschied ich mich ihn zu befragen:

„Woher kommst Du?“

Er lächelte: „Äthiopien.  In Deutschland Eritrea. Deutschland Vertrag  Eritrea.“

Ich musste lachen. Jeder sollte doch bereits auf den ersten Blick erkennen, dass er kein Eritrea ist. So wie Friesen sich genetisch von den Reto-Romanen unterscheiden, ist es in den Afrikanischen Ländern auch.

„Die glauben das?“

Fragte ich. Jetzt lachte er auch.

„Ja! Wie alt ich?“

Wollte er von mir wissen und blickte ernst. Und ich betrachtete ihn noch genauer. Skizierte ihn und erkannte dass er älter als 20, aber jünger als 25 ist.

„Du bist 22!“

Das traf ihn wie ein Schlag.

„Richtig.“

Er war verblüfft.

„Wie alt bist Du in Deutschland, 17?“

Wollte ich wissen.

„Nein, 18! Wegen  Schule…Ich muss!“

Ja, natürlich. Das kannte ich auch schon. Sie sagen sie seien 16, damit diese Flüchtlinge Bleiberecht erhalten und Schulpflichtig sind. Vermutlich auch, um bei Vergehen nach Jugendstrafrecht sanktioniert zu werden. Unzählige Gespräch dieser Art führe ich fast täglich. Es ist immer so. Die Strecke die ich fahre, wird von den Drogenkurieren genutzt. Die Stadt Hamburg verteilt HVV-Karten mit denen Flüchtlinge das gesamte Hamburger Netz nutzen können.

Meine ehemalige Arbeitskollegin, die wunderschöne, fleißige und sehr gute Kellnerin Lem-Lem stammt ebenfalls aus Äthiopien. Sie kam vor nunmehr 8 Jahren, damals 18jährig, ohne ihre Eltern oder Geschwister, nach Deutschland und hat fast vom ersten Tag ihrer Ankunft, in jenem Restaurant gearbeitet. Ohne Sprachkenntnisse. Ohne jemals  in einer Schule gewesen zu sein. Sie kann bis heute weder lesen, noch schreiben. Aber sie kann arbeiten. Diszipliniert und schweigsam, mit federndem Gang bedient sie in der Saison an 5 Tagen die Woche, bis zu 12 Stunden täglich die Gäste. Ihr Onkel arbeitet ebenfalls dort. Er ist in der Küche beschäftigt. Es sind sehr feine. empfindsame und angenehme Menschen.

„Du bist Christ!“

Stellte ich fest. Und der junge Mann deutete mit seinem Finger auf ein großes Pflaster auf seinem Arm.

„Von Fahrrad!“

Dann aber zog er es ab und zeigte mir seine Tätowierung. Ein großes Kreuz sah ich. Aber keine Wunde. Das Pflaster, welches er auf den Boden geworfen hatte, hob er wieder auf, entwirrte es und beklebte doch wieder die Tätowierung, als wir noch auf der Bank am Bahnsteig warteten. Es brauchte ein bisschen bis ich eine Erklärung für sein Verhalten fand. Mein Vater sagte einmal:

„In Eurem Pass ist ein Vermerk über unveränderliche  Kennzeichen. Lasst Euch niemals tätowieren. Wenn irgendwann mal etwas ist – er meinte damit, in einem feindlichem System leben zu müssen, wie es z.B. Hitler-Deutschland war – dann werden sie Euch an der Tätowierung identifizieren.“

Meine Schwester und ich haben uns lebenslang an seinen Rat gehalten.

Mir fiel auf, dass meine neue Bahnbekanntschaft  „high“ war und seine Aufdringlichkeit sicherlich einen Grund hatte. Der Zustand seiner Zähne, der starke Zahnbelag, ließ mich auf starkes „Kiffen“ schließen. Er redete unaufhörlich. Typisch für Nasensportler. Dann noch Nikotinabhängig. Ein Polytoxiker. Seinen Redefluss schien er nicht unter Kontrolle zu haben. Darum versuchte ich durch Fragen, seine Gedanken zu lenken. Wir waren so beschäftigt, dass wir es nur noch in letzter Minute in den Zug schafften. Dessen Einfahrt hatten wir schlicht zu spät bemerkt.

Im Zug wurde er plötzlich sehr nervös und einsilbig. Er fürchtete die Fahrkarten Kontrolle. Das war klar. Denn die Schaffnerin hatte sich dazu entschieden, unser Abteil als nächstes zu kontrollieren.

Diese von mir und hunderttausenden anderen genutzte Strecke, wird  inzwischen von auffallend vielen jungen, männlichen Drogen-Kurieren mit Migrationshintergrund genutzt. Diese Personen haben keinen Führerschein und sind auf die Bahn angewiesen. Die Stadt Hamburg versorgt Flüchtlinge mit HVV Karten für den Großraum Hamburg.  Allerdings beliefern die Kuriere so wohl Kunden am Rand Schleswig-Holsteins, als auch den Speckgürtel Hamburgs am Rand Niedersachsens. Es fallen rechnerisch, zusätzliche Fahrkosten von bis zu € 12,40 täglich an um die Kunden im Umkreis von ca. 40 Kilometern zu bereisen. Darum wird grundsätzlich versucht, diese Kosten zu vermeiden. Eigentlich immer gelingt das auch. Denn weder die Mitreisenden, noch die Schaffner wünschen sich Krawall in den Zügen. Nichts neues für mich. Sondern Alltag.

„Du sprichst kein Deutsch. Ich mach das!“

Befahl ich meiner neuen Bahnbekanntschaft. Denn die Schaffnerin hatte sich uns schnell genähert:

„Die Fahrkarten bitte! Sie sind gerade zugestiegen. Ihre Fahrkarte ist nicht gültig!“

Stellte sie wenig überrascht fest und zückte den Tarifplan. Sie war mir sehr nahe und ich starrte direkt auf den großen, schwarzen Mitesser auf ihrer Nase. Dann schaute Sie mich an und in ihren Augen las ich, dass wir beide uns einig waren. Um die Situation zu beenden meldete ich mich folgend zu Wort:

„Es ist meine Schuld. Ich habe ihm gesagt, seine Fahrkarte sei gültig. Bitte entschuldigen Sie. “

Mehr musste ich nicht sagen. Meine neue Bahnbekanntschaft schaute schreckverzerrt. Sie entschuldigte und ging weiter. Keine große Sache. Alles wie immer.

Mein neue Bekanntschaft berichtete mir aus seiner Vergangenheit, dass er Waise sei und keine Geschwister habe. Seine Mutter sei an Zucker verstorben. Sein Vater aus politischen Gründen erschossen worden. Er sei dann ganz alleine geflüchtet und vor 17 Monaten, mit 21 Jahren in Deutschland angekommen. Mit Grenzübertritt verjüngte er sich auf angeblich 16. Er wünschte sich von mir, dass ich ihn um Uhr 18:00 am Bahnhof abhole und er dann mit mir Fußball schauen kann. Er freute sich und bot mir an, für diesen Abend Kokain, Haschisch und Marijuana mitzubringen. Das alles würden wir dann gemeinsam während des Fußball Spiels konsumieren.  Er fand das eine tolle Idee.

Die Menschen in meinem Bekanntenkreis, welche aus Äthiopien stammen, sind sehr gesundheitsbewusst. Ernähren sich vorbildlich. Rauchen nicht. Noch nie habe ich einen Äthiopier Alkohol trinken sehen und kann mir nicht vorstellen, dass Lem-Lem jemals betrunken war oder sein wird. Geschweige denn, dass einer von meinen Bekannten Drogen nehmen würde. Keiner von meinen Bekannten wird oder wurde im Heimatland politisch verfolgt. Es sind Menschen, welche von ihrer Familie nach Deutschland geschickt wurden, um hier auf legalem Weg, Geld durch harte Arbeit zu verdienen. Geld, mit dem auch die Familie in der Heimat unterstützt wird.

Es gelang mir nicht meiner neuen Bahnbekanntschaft zu vermitteln, dass für ihn keinerlei Chance bestand, in meinem Zuhause, mit mir und meinem Freund gemeinsam „Die Mannschaft“ : Italien zu schauen und dabei:

Alkohol, Zigaretten, Kokain, Haschisch und Marijuana

Zu konsumieren.

Bei dem Gedanken daran, was mein Freund mit diesem jungen Mann täte, sobald der seine Gastgeschenke auf den Tisch gelegt hätte, standen mir die Haare zu Berge.

„Du warst nie in Äthiopien in der Schule.“

Stellte ich fest.

„Äthiopien nicht. Deutschland ja!“

Antwortete er mir und strahlte mich an.

„Was möchtest Du werden?“

Er verstand mich nicht sofort. Darum stellte ich die Frage anders:

„Arbeiten. Was willst Du arbeiten?“

„Automechaniker!“

Kam es wie aus der Kanone geschossen. Autos und Fußball. Hätte ich mir doch denken können. Die allermeisten Jungs ticken gleich. Egal wo sie herkommen oder wo sie gerade leben.

Für den Automechaniker bekam er von mir einen Daumen hoch. Ich wünschte es ihm in diesem Moment so sehr, dass er seinen Traum irgendwie erreichen kann. Äthiopien braucht dringend gut ausgebildete „Automechaniker“. Noch dringender braucht Äthiopien aber staatliche Strukturen welches es jungen Menschen dort ermöglichen, Schulen  zu besuchen, eine Ausbildung zu machen und in diesem Beruf arbeiten zu können.

Braucht Deutschland Analphabeten mit dem Berufswunsch „Automechaniker“?

Vermutlich nicht. Das Geld für den Betreuer, für die Wohnung, die Ausbildung, die Versorgung meiner neuen Bahnbekanntschaft, wäre in Äthiopien um ein vielfaches mehr wert und könnte sehr viele Menschen mehr erreichen. Statt nur meiner neuen Bahnbekanntschaft einem Vorteil all jenen gegenüber zu verschaffen, welche in Äthiopien geblieben sind.  Allerdings würden ihm, seinen Auftraggebern, seiner Familie – denn ich glaube nicht daran, dass er ein Vollwaise ohne Geschwister ist – , die Gewinne aus dem Drogenhandel fehlen.

Nach etwa 15 min. hatte meine neue Bahnbekanntschaft sein Ziel erreicht. Er blieb im festen Glauben, ich würde ihn um 18:00 Uhr am Bahnhof abholen.

Entsprechend teilte ich mir meinen Tag so ein, dass ich sehr viel später zurück kam. Vorsorglich wurde ich von meinem Freund sogar am Bahnhof abgeholt. Er schimpfte noch mit mir, dass ich seine Telefonnummer nicht irgendwelchen Fremden zu geben hätte. Denn meine neue Bahnbekanntschaft hatte sich schon bei ihm gemeldet und sich zum Fußball schauen angemeldet. Die Antwort meines Freundes auf diese Ankündigung scheint er verstanden zu haben. Es kam kein zweiter Anruf mehr.

„Die Mannschaft“ hat dann doch noch gegen Italien gewonnen.